Digitaler Erfolg braucht kulturellen Wandel

Weich schlägt hart - erst recht bei der Digitalen Business Transformation. Das scheint noch nicht überall angekommen zu sein. Eine kritische Würdigung zum Stand des kulturellen Wandels in den Unternehmen sowie Lösungsansätze, um besser zu werden.

Von Urs Widmer, Geschäftsführer UWITA

Eine alte Weisheit von Management-Guru Peter Drucker ist so aktuell wie nie. Momentan können wir sehr viel lesen über die Herausforderungen der Digitalen Transformation und dabei insbesondere über die Rolle resp. das Verhalten der Mitarbeitenden. Eine Studie von IDG zu “Process Mining & RPA 2019“  hat ergeben, dass wieder einmal der Mensch der Stolperstein sei bei der erfolgreichen Implementierung. Eine Umfrage von “DXC.technology“ bei 600 Fach-und Führungskräften im DACH-Raum kam zum selben Schluss in Bezug auf die Digitalisierung in den Unternehmen. Darin sehen 61 Prozent der Befragten die Probleme bei den Mitarbeitenden, welche nicht bereit seien für die notwendigen Veränderungen und 72 Prozent sind der Meinung, dass es dabei nicht am Engagement der Chefetagen liege. Das wiederum widerlegt jedoch die neuste Umfrage des Personalberatungsunternehmens Von Rundstedt zum “Schweizer Arbeitsmarkt 2019“ bei 1575 HR-Verantwortlichen aus der ganzen Schweiz. Sie sind der Meinung, dass die Unternehmen zu wenig investieren, um ihre Mitarbeitenden zu befähigen, mit den sich verändernden Verhältnissen, die die Digitalisierung mit sich bringt, klarzukommen. Das wirke sich bei zwei von drei Unternehmen sogar negativ auf die Gesundheit der Mitarbeitenden aus.

Es erstaunt nicht. Das ist das Ergebnis des Nichtstuns. Hätten sich die Unternehmen nach der Finanzkrise 2008 an ihre Versprechen gehalten, hätten sie heute eine Belegschaft, die mehrheitlich offen und bereit ist für die notwendigen Veränderungen. Denn damals meldeten sich namhafte Wirtschaftsgrössen aller Branchen zu Wort und verkündeten, dass nun andere Kulturen entstehen müssten, Kulturen mit weniger Egoismus und mehr Vertrauen in die Mitarbeitenden. Der gute Manager rücke persönliche Interessen in den Hintergrund, orientiere sich an dem, was wirklich ist und nicht an dem, wie es viele gerne sehen würden. Passiert ist offensichtlich wenig.

Zeit, die Menschen auf die bevorstehenden Veränderungen vorzubereiten, wäre genug vorhanden gewesen. Es war nach der globalen Finanzkrise 2008 und in der Schweiz nach den beiden Währungskrisen 2011 und 2015 klar, dass die Welt nie mehr so aussehen würde wie vorher und wir unseren Wohlstand nur mit grossen Veränderungen beibehalten können. Anstelle dessen haben die Unternehmen ohne Rücksicht auf den kulturellen Schaden etliche Sparprogramme durchgezogen. Nicht, dass diese nicht wichtig gewesen wären, so viel unternehmerisches Verständnis haben die Mitarbeitenden und sie haben mehrheitlich auch mitgemacht. Es wurde jedoch die Chance verpasst, im Rahmen dieser Anpassungen gleichzeitig das Bewusstsein und die Bereitschaft für nachhaltige Veränderungen langsam zu entwickeln und zu einer neuen Kultur werden zu lassen. Denn die Menschen bestimmen, ob eine Veränderung erfolgreich wird oder nicht. Nur, wenn sie verstehen, weshalb das Unternehmen bestimmte Ziele verfolgt und wenn sie sich ernst genommen fühlen, werden sie sich voll und ganz für das Unternehmen einsetzen.

Meine Analyse der Berichterstattungen zum Thema Veränderungsmanagement ist, dass die Distanz der Führungsetagen zu den Mitarbeitenden nicht kleiner, sondern eher noch grösser geworden ist. Ist es ehrlich gewollt oder ist es nicht eher nur geduldet, wenn sich die Mitarbeitenden offen äussern? Ich denke, viele Mitarbeitende haben bereits resigniert und sagen nicht mehr, was sie berührt und was sie wahrnehmen, weil sie spüren, dass das Management viele ihrer Anliegen am Ende doch nicht für relevant hält. Dieses vermeidet den wahrhaft konstruktiven Dialog und überlässt es den Mitarbeitenden, für ihre Sache zu kämpfen, statt sie zu unterstützen. Ein Kampf ohne Gewinner.

Um die Menschen für Veränderungen zu gewinnen, muss zuerst eine offene Kommunikationskultur geschaffen werden. Es funktioniert nicht, wenn falsche Anreize geschaffen werden, die Eigeninteressen über den Unternehmensinteressen stehen und die vermeintlich gemeinsamen Werte doch nicht für alle gleichermaßen gelten. Es funktioniert auch nicht, wenn die Ziele mit Macht durchgesetzt werden statt mit einem gewinnenden Überzeugen und wenn Themen nur aus der Sachperspektive angegangen werden. Ebenso hinderlich sind zu wenig Interesse für die Bedürfnisse des Anderen und die Gier nach dem kurzfristigen Erfolg.

 

Es wurde jedoch die Chance verpasst, im Rahmen dieser Anpassungen gleichzeitig das Bewusstsein und die Bereitschaft für nachhaltige Veränderungen langsam zu entwickeln und zu einer neuen Kultur werden zu lassen.

 

Meine fünf Türöffner, um die Mitarbeitenden für kommende Veränderungen gewinnen zu können:

  1. Eine Führung mit spürbarer Demut und der Einsicht, dass sie es alleine nicht schaffen wird.

  2. Eine Kultur der Offenheit, in der Hierarchie und Macht aufgehoben sind, in der sich jeder einbringen kann und Einzelinteressen den Gesamtinteressen untergeordnet sind.

  3. Eine für alle verständliche Vision und eine nachvollziehbare Strategie über den Weg dahin. Daraus abgeleitet eine Verständigung mit allen Anspruchsgruppen über die gemeinsamen Ziele, für deren Erreichung jeder seinen individuellen Beitrag leisten muss und wovon jeder profitiert.

  4. Für eine effektive Umsetzung braucht es eine Verantwortliche für den Kulturwandel (Frauen sind dafür eher besser geeignet als Männer...), welche direkt an den CEO berichtet und sowohl die Kompetenz als auch den Auftrag hat, die Veränderungsbereitschaft und –fähigkeit im Unternehmen generell zu erhöhen und in Transformationsprojekten dafür zu sorgen, dass ein Change-Management stattfindet, das diesen Namen auch wirklich verdient. Ich würde sogar so weit gehen, dieser Instanz einen direkten Draht in den Verwaltungsrat zu geben. Ich sehe die Veränderung der Kultur stärker denn je als unverzichtbaren Teil der Unternehmensstrategie und dementsprechend muss es im gleichen Masse beaufsichtigt werden wie die wirtschaftliche Leistungserbringung.

  5. Die Fortschrittskontrolle der Kulturveränderung gehört auf allen Führungsebenen genauso zur Standardagenda wie die finanzielle Berichterstattung. Lassen Sie Ihre Mitarbeitenden über die Fortschritte befinden und hören Sie gut zu.

Nicht zuletzt braucht es viel Stehvermögen. Kulturveränderung ist keine einmalige Sache. Es geht darum, sich trotz stetig wechselnder Einflussfaktoren immer wieder neu zu positionieren und zu adaptieren.

Hut ab vor Vasant Narasimhan, dem CEO von Novartis. Er scheint es erkannt zu haben, steht aber auch erst am Anfang. Die Menschen werden es spüren, ob es die oberste Leitung von Novartis ernst meint und selbst entscheiden, ob sie mitmachen oder nicht. Die Zukunft wird es zeigen, ob Novartis damit erfolgreich werden wird oder es doch wieder einen Rückfall in alte Zeiten geben wird. Die Grundsätze zur Kulturveränderung hat Narasimhan übrigens dem Buch „Unboss“ von Lars Kolind und Jacob Botter aus dem Jahre 2012 (!) entnommen. Auch schon eine Weile her.

Es ist zwar reichlich spät, erst jetzt mit dem dringend notwendigen Kulturwandel zu beginnen. Doch lohnt es sich nach wie vor. Das Tempo und das Ausmass der Veränderungen werden hoch bleiben und sogar zunehmen. Die Veränderungen können nicht vom Management alleine vorangetrieben werden. Es sind die Netzwerke von Menschen, welche Mitverantwortung tragen müssen und auch werden, wenn sie den Zweck der Veränderung verstehen und den notwendigen Handlungsspielraum erhalten, um mitgestalten zu können. Ich bin überzeugt, dass nur diejenigen Unternehmen überleben werden, die das verstehen und entsprechend aktiv werden. Jetzt!